(1) Ärzte und Ärztinnen nach § 7 ArbMedVV beziehungsweise Betriebsärztinnen und Betriebsärzte haben die Erkenntnisse jeder arbeitsmedizinischen Vorsorge auszuwerten (§ 6 Absatz 4 ArbMedVV). Ziel derartiger Auswertungen ist die fundierte Beratung des Arbeitgebers zur Weiterentwicklung des Gesundheitsschutzes, darüber hinaus aber auch der Beschäftigten selbst, ihrer Interessenvertretungen, der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und weiterer Partner im Betrieb.
(2) Ärztliche Auswertungen können auch zur Erkennung arbeitsbedingter Erkrankungen und Berufskrankheiten, Weiterentwicklung von Arbeitsschutzregelungen, Ableitung von Grenzwerten und zur Entwicklung von Gestaltungskriterien für gesundheitsgerechte Arbeit beitragen.
(3) Bei der Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge im Betrieb kommt es nicht nur darauf an, auf der Basis der Gefährdungsbeurteilung die einzelnen Beschäftigten zu beraten, sondern Mitarbeitergruppen mit vergleichbaren Arbeitsaufgaben, in identischen Arbeitskontexten (Kohorten) möglichst gemeinsam zu betrachten, um zum Beispiel spezifische Beschwerden und ihre mögliche Auslösung durch arbeitsbedingte Faktoren erkennen zu können.
(4) Derartige Auswertungen über Beschäftigtengruppen sind aggregiert anzufertigen. Rückschlussmöglichkeiten auf einzelne Beschäftigte sind unzulässig. Auswertungen sollen sich vorrangig auf die Häufigkeit (Prävalenzangaben), das Neuauftreten (Inzidenz) oder Wiederauftreten (Rekurrenz) von adversen Gesundheitseffekten (Beschwerden, Erkrankungen) in Beschäftigtengruppen sowie auf die Assoziationen/Korrelationen zu Arbeitsfaktoren beziehen. Andere relevante Faktoren, die die Auswertungen in Bezug auf arbeitsbedingte Beschwerden und Erkrankungen verzerren können (beispielsweise unterschiedliche Altersverteilungen), sind zu beachten. Sowohl prospektive als auch retrospektive Auswertungen sind sinnvoll. Auch anonymisierte Falldarstellungen sind zulässig. Ethische Aspekte und Aspekte des Datenschutzes sind zu beachten. Falls die Auswertung für wissenschaftliche Zwecke genutzt wird, ist ein Ethikvotum einer zuständigen Ethikkommission einzuholen.
(5) Über die Art und Weise der innerbetrieblichen Auswertung sowie deren Umfang, Inhalt und Zeitpunkt entscheidet der Betriebsarzt beziehungsweise die Betriebsärztin; in Anwendung der jeweiligen arbeitsmedizinischen Fachkunde ist der Arzt oder die Ärztin weisungsfrei, beachtet die ärztliche Schweigepflicht (§ 6 Absatz 1 Satz 5 ArbMedVV) und berät auf der Grundlage von wissenschaftlicher Evidenz.
(6) Bei Auffälligkeiten entwickeln Betriebsärzte und Betriebsärztinnen Hypothesen, überprüfen diese durch geeignete Instrumente, insbesondere Messungen oder Befragungen auf Abteilungsebene, und übersetzen sie in schlüssige Konzepte zur Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen. Diese schlagen sie dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretung vor und bieten den Verantwortlichen im Betrieb, zum Beispiel im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung, Beratung bei deren Umsetzung an. Betriebsärzte und Betriebsärztinnen bieten auch die Überprüfung von Fragestellungen und Hypothesen betrieblicher Partner der Prävention an.
(7) Der Erkenntnisgewinn ist größer, wenn bereits das Setting zur Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorge so organisiert wird, dass die arbeitsmedizinische Vorsorge in den diversen Abteilungen nacheinander durchgeführt wird. So sollen Betriebsärzte und Betriebsärztinnen aktiv darauf hinwirken, dass ihnen schon mit der Anamnese Informationen zur Verfügung stehen, die geeignet sind, den betrieblichen Zusammenhang und die Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Gesundheit ganzheitlich auswerten und beurteilen zu können. Bei ausschließlich individueller Betrachtungsweise wären die Zusammenhänge wahrscheinlich erst mit großer Verzögerung oder gar nicht erkennbar.
(8) Die Dokumentation von Anamnese und Arbeitsanamnese, Befunden, Diagnosen und wichtigsten Beratungsinhalten im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorge sollte anonymisierte betriebsärztliche Auswertungen ermöglichen und erleichtern.
(9) Detaillierte Hinweise und ausführliche Praxisbeispiele betriebsärztlicher Auswertungen enthält die Arbeitsmedizinische Empfehlung "Auswertung betriebsärztlicher Erkenntnisse" (BMAS, Hrsg., Bonn 2022)