5 Hauptfluchtwege

(1) Hauptfluchtwege müssen in Anzahl, Anordnung und Abmessung nach der Nutzung, der Einrichtung und den Abmessungen der Arbeitsstätte sowie nach der höchstmöglichen Anzahl der anwesenden Personen eingerichtet werden. Hauptfluchtwege sollen übersichtlich verlaufen.

(2) Die Länge des Hauptfluchtweges ist die kürzeste Wegstrecke (ohne Berücksichtigung der Raumausstattung, jedoch nicht durch Wände gemessen) vom Beginn des Fluchtweges bis zu einem Notausgang. Die Hauptfluchtweglänge muss möglichst kurz sein und darf:

1. für Räume ohne oder mit normaler Brandgefährdung ausgenommen Räume nach Nummern 2 bis 4 bis zu 35 m
2. für Räume mit erhöhter Brandgefährdung mit selbsttätigen Feuerlöscheinrichtungen bis zu 35 m
3. für Räume mit erhöhter Brandgefährdung ohne selbsttätige Feuerlöscheinrichtungen bis zu 25 m
4. für Räume, in denen eine Gefährdung durch explosionsgefährliche Stoffe besteht bis zu 10 m

betragen.

Hinweis:
Bezüglich der Begriffsbestimmung explosionsgefährlicher Stoffe siehe Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz - SprengG).

(3) Für Räume, in denen eine andere Gefährdung als nach Absatz 2 Nummer 1 bis Nummer 4 besteht, muss im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung unter Beachtung der geltenden Technischen Regeln ermittelt werden, ob gegebenenfalls eine geringere Länge des Fluchtweges erforderlich ist, z. B. bei Lagerung und Verwendung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern gemäß TRGS 510 "Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern".

Hinweis:
Bezüglich der Begriffsbestimmung Gefahrstoffe siehe Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung – GefStoffV).

(4) Die tatsächliche Laufweglänge darf nicht mehr als das 1,5-fache der maximal zulässigen Hauptfluchtweglänge betragen.

Hinweis:
Aufgrund der Begrenzung der zulässigen Hauptfluchtweglängen kann für größere Bereiche von Arbeitsstätten mehr als ein Hauptfluchtweg erforderlich sein.

(5) Sofern es sich bei einem Hauptfluchtweg nach Absatz 2 Nummer 1 bis Nummer 3 auch um einen Rettungsweg handelt und das Bauordnungsrecht der Länder, z. B. die Industriebaurichtlinie, für diesen Weg eine von Absatz 2 Satz 2 abweichende längere Weglänge zulässt, können dafür die Maßgaben des Bauordnungsrechts angewandt werden.

(6) Die lichte Mindestbreite der Hauptfluchtwege bemisst sich nach der höchstmöglichen Anzahl der Personen, die im Gefahrenfall den Hauptfluchtweg benutzen müssen und ergibt sich aus Tabelle 1:

Tab. 1: Lichte Mindestbreiten von Hauptfluchtwegen in Abhängigkeit von der Gesamtzahl der Personen im Einzugsgebiet

 
A
B
C
Nr.
Anzahl der Personen
(Einzugsgebiet)
Lichte Mindestbreiten von
Durchgängen und Türen im
Verlauf von Hauptfluchtwegen,
z. B. Türen von Notausgängen
(in m)
Lichte Mindestbreiten von
Hauptfluchtwegen
(in m)
1
2
3
4
5
6
7
bis 5
bis 20
bis 50
bis 100
bis 200
bis 300
bis 400
0,80*)
0,90
0,90
1,00
1,05
1,65
2,25
0,90
1,00
1,20
1,20
1,20
1,80
2,40
  Bei Einzugsgebieten von mehr als 200 Personen sind Zwischenwerte der Mindestbreiten (ermittelt durch lineare Interpolation) zulässig. Der Begriff Einzugsgebiet beschreibt einen Bereich, aus dem alle dort anwesenden Personen denselben Hauptfluchtweg nutzen müssen. Dies entspricht z. B. bei mehrgeschossigen Gebäuden der Gesamtanzahl der Personen, die über alle Ebenen (auch als Etagen, Geschosse, Stockwerke bezeichnet) demselben Hauptfluchtweg zugeordnet sind, unabhängig davon, ob diese Personen Abschnitte des Hauptfluchtweges im Fluchtfall zeitgleich oder zeitlich versetzt nutzen.

*) Hinweis:
Bei Neubauten und wesentlichen baulichen Erweiterungen oder Umbauten wird empfohlen, für Einzugsgebiete von bis zu 5 Personen nach Nummer 1 Spalte B eine lichte Mindestbreite von Durchgängen und Türen im Verlauf von Hauptfluchtwegen von 0,90 m einzuhalten, um auch in diesen Bereichen eine barrierefreie Zugänglichkeit zu ermöglichen. Zudem lassen sich auf diesem Wege bauliche Maßnahmen im Sinne der ASR V3a.2 "Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten" und in der Folge Umbaukosten vermeiden.
  Abweichend für Fluchtwege aus besonderen Bereichen
Lichte Mindestbreiten
(in m)
8
Gänge zu persönlich zugewiesenen Arbeitsplätzen
0,60
9
Nebengänge von Lagereinrichtungen für die ausschließliche Be- und Entladung von Hand
0,75
10
Türen von Toilettenzellen und von Toilettenräumen mit nur einer Toilette entsprechend ASR A4.1 "Sanitärräume"
0,55

Hinweis:
Die Werte der Spalten B und C entsprechen den Anforderungen für die Flucht und berücksichtigen nicht mögliche Auswirkungen durch den Einbau von Türen, z. B. können für Flure durch den Einbau von Türen gegebenenfalls entsprechend größere Breiten erforderlich werden.

(7) In Gebäuden, die bis zum 30.9.2022 errichtet worden sind oder deren Bauantragstellung bis zu diesem Termin erfolgt ist, dürfen Hauptfluchtwege nach Tabelle 1 Nummer 1 Spalte C für bis 5 Personen mit einer lichten Mindestbreite von 0,875 m eingerichtet oder solange betrieben werden, bis die jeweiligen Bereiche dieser Arbeitsstätten wesentlich erweitert oder umgebaut werden oder nach § 3a Absatz 2 der Arbeitsstättenverordnung eine Vergrößerung erforderlich wird.

(8) In Gebäuden, die bis zum 30.9.2022 errichtet worden sind oder deren Bauantragstellung bis zu diesem Termin erfolgt ist, dürfen Durchgänge und Türen von Hauptfluchtwegen nach Tabelle 1 Nummer 2 Spalte B mit einer lichten Mindestbreite von 0,85 m eingerichtet oder solange betrieben werden, bis die jeweiligen Bereiche dieser Arbeitsstätten wesentlich erweitert oder umgebaut werden oder nach § 3a Absatz 2 der Arbeitsstättenverordnung eine Vergrößerung erforderlich wird.

(9) In Gebäuden, die bis zum 30.9.2022 errichtet worden sind oder deren Bauantragstellung bis zu diesem Termin erfolgt ist, dürfen Türen von Toilettenzellen und Toilettenräumen mit nur einer Toilette mit einer lichten Mindestbreite von 0,50 m eingerichtet oder solange betrieben werden, bis die jeweiligen Bereiche dieser Arbeitsstätten wesentlich erweitert oder umgebaut werden.

(10) Die lichte Mindestbreiten des Hauptfluchtweges nach Tabelle 1, Spalte C, Nummern 1 bis 7 darf durch kurze Einbauten oder Einrichtungen, z. B. Feuerlöscher, Wandvorsprünge, Türflügel, Türzargen, Türdrücker und Notausgangsbeschläge, die Maße nach Spalte B nicht unterschreiten.

(11) Für Hauptfluchtwege, die ausschließlich zur Flucht bestimmt sind, dürfen die lichten Mindestbreiten nach Tabelle 1, Spalte C, Nummern 1 bis 7 auf die Werte der lichten Mindestbreiten für Durchgänge nach Spalte B der Tabelle 1 reduziert werden. Solche Hauptfluchtwege können z. B. Fluchttunnel, Gänge und Außentreppen sein, die nur zur Evakuierung vorgesehen sind. Eine weitere Einengung durch kurze Einbauten oder Einrichtungen im Sinne von Absatz 10 ist dabei nicht zulässig.

(12) Die lichte Mindesthöhe des Hauptfluchtweges soll mindestens 2,10 m betragen und darf 2,00 m nicht unterschreiten. Die lichte Mindesthöhe von Durchgängen und Türen im Verlauf von Hauptfluchtwegen, z. B. Türen von Notausgängen, soll mindestens 2,10 m betragen und darf 1,95 m nicht unterschreiten. Dieses gilt auch bei der Verwendung von Funktionselementen z. B. Obentürschließern. Bei wesentlichen Erweiterungen oder wesentlichen Umbauten von Bereichen, durch die Hauptfluchtwege führen, ist zu prüfen, ob die lichte Mindesthöhe von 2,10 m umgesetzt werden kann.

(13) Fahrsteige, Fahrtreppen, Wendel- und Spindeltreppen sowie Steigleitern und Steigeisengänge sind im Verlauf eines Hauptfluchtweges nicht zulässig. Treppen im Verlauf von Hauptfluchtwegen müssen über gerade Läufe verfügen. Davon abweichend sind gebogene Treppenläufe zulässig, wenn sie:

  1. eine lichte Breite von maximal 1,40 m,
  2. einen Innendurchmesser von mehr als 2,00 m und
  3. gleiche Stufenabmessungen

aufweisen.

(14) Von den lichten Mindestbreiten nach Tabelle 1 Spalte C kann bei Treppen in Treppenräumen und Außentreppen von mehrgeschossigen Gebäuden abgewichen werden, wenn mit anderen Maßnahmen die gleiche Sicherheit erreicht wird:

  1. durch einen ungehinderten Zugang für alle Personen in einen Treppenraum oder zu einer Außentreppe in allen Ebenen unabhängig von der Zahl der Ebenen (sogenannter "freier Fluss") nach Absatz 15 (siehe auch den Hinweis unter Tabelle 2) oder
  2. durch eine vorrangige Evakuierung der von einem Gefahrenfall betroffenen Ebene einschließlich der direkt angrenzenden Ebenen (sogenannte "Sequentielle Entfluchtung" von maximal 3 Ebenen) nach Absatz 16.

(15) Für Treppen in Treppenräumen und Außentreppen kann abweichend von den lichten Mindestbreiten nach Tabelle 1 Spalte C die gleiche Sicherheit erreicht werden, wenn für alle Personen in allen Ebenen unabhängig von der Zahl der Ebenen ein ungehinderter Zugang zum Treppenraum oder zur Außentreppe ermöglicht wird (sogenannter "freier Fluss"). Dies ist bei Personenbelegungen und lichten Mindestbreiten für die Fluchtwege auf der jeweiligen Ebene nach Tabelle 1 Spalte C und bei Einhaltung der Mindestbreiten von Treppen in Treppenräumen und Außentreppen nach Tabelle 2 Spalte C gegeben. Eine Einschränkung der lichten Mindestbreite der Treppe im Sinne der Absätze 10 und 11 ist hierbei nicht zulässig.

Die lichte Mindestbreite der nach der Treppe anschließenden Hauptfluchtwege muss Tabelle 2 Spalte C entsprechen. Diese darf durch kurze Einbauten oder Einrichtungen, z. B. Feuerlöscher, Wandvorsprünge, Türflügel, Türzargen, Türdrücker und Notausgangsbeschläge, die Maße nach Tabelle 2 Spalte B nicht unterschreiten.

Tab. 2: Lichte Mindestbreiten von Treppen in Treppenräumen und Außentreppen als Hauptfluchtwege von mehrgeschossigen Gebäuden in Abhängigkeit von der Personenbelegung pro Ebene

Lichte Mindestbreiten von Treppen in Treppenräumen und Außentreppen als Hauptfluchtwege von mehrgeschossigen Gebäuden für eine von der Tabelle 1 abweichende Bemessung von Treppen:
 
A
B
C
Nr.
Personenbelegung
(Personen pro Ebene)
Lichte Mindestbreiten von
Durchgängen und Türen im
Verlauf von nach der Treppe
anschließenden
Hauptfluchtwegen, z. B.
Türen von Notausgängen
(in m)
Lichte
Mindestbreiten von
Treppen und danach
anschließender
Hauptfluchtwege
(in m)
1
2
3
4
5
bis 30
bis 40
bis 50
bis 60
bis 70
0,90
1,05
1,25
1,65
2,25
1,00
1,20
1,40
1,80
2,40
Zwischenwerte der Mindestbreiten (ermittelt durch lineare Interpolation) sind zulässig.

Hinweis:
Den Werten nach Tabelle 1 und Tabelle 2 liegen unterschiedliche Betrachtungsweisen zugrunde. Bei Anwendung der Tabelle 1 ist die Summe aller Personen maßgeblich, die über den jeweiligen Hauptfluchtweg flüchten müssen. Diese ergibt sich bei Treppenräumen oder Außentreppen aus der Summe aller Personen aus allen Ebenen im Einzugsgebiet (Gesamtanzahl der Personen, die über alle Ebenen demselben Hauptfluchtweg zugeordnet sind, unabhängig davon, ob die Personen Abschnitte des Hauptfluchtweges im Fluchtfall zeitgleich oder zeitlich versetzt nutzen). Die Tabelle 2 ist unabhängig von der Zahl der Ebenen anwendbar. Eine Anwendung von Tabelle 2 kann insbesondere bei einer überwiegend gleichmäßigen Personenverteilung über alle Ebenen und einer größeren Anzahl von Ebenen sinnvoll sein. Bei einem direkten Vergleich von Werten nach Tabelle 1 und Tabelle 2 können sich unterschiedliche Werte für lichte Mindestbreiten für Treppen ergeben, die beide angewendet werden dürfen.

(16) Für Treppen in Treppenräumen und Außentreppen kann abweichend von den lichten Mindestbreiten nach Tabelle 1 Spalte C die gleiche Sicherheit auch durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

  1. Einhaltung einer lichten Mindestbreite der Treppen von 1,20 m
  2. bei einer maximalen Belegung bis 65 Personen pro Ebene und
  3. vorrangiger Evakuierung der von einem Gefahrenfall betroffenen Ebene einschließlich der direkt angrenzenden Ebenen (sogenannte "Sequentielle Entfluchtung" von maximal 3 Ebenen).

Eine Einschränkung der lichten Mindestbreite der Treppe im Sinne der Absätze 10 und 11 ist hierbei nicht zulässig.

Nach der Treppe anschließende horizontale Hauptfluchtwege müssen die gleiche Mindestbreite haben. Diese darf durch kurze Einbauten oder Einrichtungen, z. B. Feuerlöscher, Wandvorsprünge, Türflügel, Türzargen, Türdrücker und Notausgangsbeschläge, das Maß 1,05 m nicht unterschreiten.

(17) Hauptfluchtwege dürfen keine Ausgleichsstufen enthalten.