2. Begriffsbestimmungen

2.1 Wesentlich erhöhte körperliche Belastungen

(1) Körperliche Arbeitsbelastungen erfordern das Aufbringen von Muskelkräften zur Erfüllung einer Arbeitsaufgabe. Unter bestimmten Bedingungen können aus beruflichen Tätigkeiten erhöhte körperliche Belastungen resultieren und abhängig von Intensität und Dauer der Einwirkung zu arbeitsbedingten Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System führen. Die Belastungshöhe bzw. die Intensität und Dauer der unterschiedlichen Arten körperlicher Belastung stehen in direktem Zusammenhang zur Wahrscheinlichkeit körperlicher Überbeanspruchung und dem Risiko für das Auftreten unerwünschter gesundheitlicher Folgen. Nach der Intensität und Dauer der körperlichen Belastungen werden daher aufsteigend vier Risikobereiche mit geringer, mäßig erhöhter, wesentlich erhöhter und hoher Belastungshöhe differenziert [15, 17]. Abzugrenzen sind Arbeitssituationen, in denen die jeweilige Belastungsart generell nicht auftritt.

(2) Wesentlich erhöhte körperliche Belastungen im Sinne dieser AMR umfassen die beiden Risikobereiche "wesentlich erhöhte" und "hohe" körperliche Belastungen (siehe Anhang):

(3) Kriterien für wesentlich erhöhte und hohe körperliche Belastungen bei den zutreffenden Belastungsarten sind in Abschnitt 4.2 dargestellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Höhe der Belastungen bei den meisten Tätigkeiten innerhalb der Arbeitsschicht und zwischen den Schichten wechseln kann.

2.2 Körperliche Belastungsarten

Zu körperlichen Belastungsarten im Sinne dieser AMR gehören [17]:

Diese Belastungsarten werden in 2.2.1 bis 2.2.3 den drei im Anhang Teil 3 Absatz 2 Nummer 4 ArbMedVV genannten Vorsorgeanlässen zugeordnet.

2.2.1 Lastenhandhabung

(1) Lastenhandhabung im Sinne von Anhang Teil 3 Absatz 2 Nummer 4 ArbMedVV ist manuelle Lastenhandhabung.

(2) Manuelle Lastenhandhabung ist jedes Befördern oder Abstützen einer Last ab 3 kg durch menschliche Kraft. Dazu gehört das Heben, Halten, Tragen, Ziehen oder Schieben einer Last und vergleichbare Belastungen. Bei der Verwendung von Hebehilfen oder bei der Lastenmanipulation zu mehreren Personen sind die verbleibenden Lasten die Grundlage für die Beurteilung der Belastung des Muskel-Skelett-Systems.

(3) Heben ist das Bewegen einer Last von einer Position auf eine niedrigere, gleich hohe oder höhere Position durch menschliche Kraft. Die Höhe der körperlichen Belastung wird dabei durch verschiedene Faktoren bestimmt. Das sind insbesondere die Häufigkeit der Hebetätigkeit, das Gewicht der Last, die Ausgangs- und die Endhöhe beim Greifen der Last, die horizontale Entfernung der Last vom Körperschwerpunkt sowie die Symmetrie der Lastverteilung am Körper und die Dynamik der Bewegung.

(4) Halten ist das Fixieren einer Last auf einer bestimmten Position durch menschliche Kraft als überwiegend statischer Vorgang. Je nach Zeitdauer des Haltevorgangs kann neben der eigentlichen Lastenhandhabung auch die dabei eingenommene Körperhaltung zur Belastung beitragen.

(5) Tragen ist der horizontale Transport einer Last, die nicht den Untergrund berührt, mit menschlicher Kraft und durch Mitführen am Körper. Die Last kann sich zum Beispiel vor oder neben dem Körper, seitlich oder auf Schultern oder Rücken befinden. Sofern das Tragen der Last über längere Distanzen (> 10 m) oder in Verbindung mit erschwertem Gehen (zum Beispiel Ackerboden, Schächte, Leitern, Klettern, Treppen, Steigungen/Gefälle > 10 °) erfolgt, ist auch die Belastungsart "Körperfortbewegung" Bestandteil des Tragens.

(6) Ziehen oder Schieben von Lasten ist das Fortbewegen einer Last durch menschliche Kraft mit Körperfortbewegung auf rollendem Hilfsmittel mit Druck des Körpers über die Arme und Hände gegen die Last (Schieben) oder Zug an der Last durch Hände und Arme (Ziehen). Die Höhe der körperlichen Belastung wird dabei durch verschiedene Faktoren bestimmt. Das sind insbesondere die Weglänge bzw. Dauer der Fortbewegung, das zu bewegende Lastgewicht, ggfs. inklusive Flurförderzeug, die Beschaffenheit des Fahrweges und die Körperhaltung bzw. Körperbewegung.

(7) Im Sinne dieser AMR ist auch das Aufbringen von Ganzkörperkräften unter Lastenhandhabung zu fassen. Eine Last im Sinne der Absätze (3) bis (6) wird nicht bewegt. Die Kraftausübung ist überwiegend stationär. Beispiele sind das manuelle Bewegen von Personen, das Bearbeiten großer Werkstücke, oder die Benutzung schwerer Werkzeuge, Armaturen und Vorrichtungen. Die Höhe der körperlichen Belastung wird insbesondere durch die Höhe und Häufigkeit der Kraftausübungen, die Körperhaltung bei der Kraftausübung und die Dynamik der Bewegung bestimmt.

2.2.2 Repetitive manuelle Tätigkeiten

Repetitive manuelle Tätigkeiten sind manuelle Arbeitsprozesse mit den Händen oder Armen, bei denen sich gleichförmige oder ähnliche Arbeitsabläufe ständig wiederholen. Die Belastung wird insbesondere bestimmt durch die Dauer und Häufigkeit von Handhabungen mit geringem bis großem Kraftaufwand der lokalen Muskulatur, dem Grad des Bewegungsausmaßes in den Hand- oder Ellenbogengelenken.

2.2.3 Erzwungene Körperhaltungen

(1) Erzwungene Körperhaltungen oder Körperzwangshaltungen bedingt durch den Arbeitsprozess liegen vor, wenn von der Ruheposition im aufrechten Stehen oder Sitzen deutlich abweichende Körperhaltungen mit geringen Bewegungsmöglichkeiten bis zu einer wirksamen Unterbrechung oder zu einem Belastungswechsel einzunehmen sind. Eine wirksame Unterbrechung dieser Belastung liegt dann vor, wenn eine ungünstige Haltung durch eine entspannte Haltung (wie zum Beispiel aufrechtes Stehen oder variables Sitzen) unterbrochen oder geringfügig variiert werden kann selbst wenn der Arbeitsprozess fortgeführt wird.

(2) Von Körperzwangshaltungen bei der Arbeit können in unterschiedlicher Kombination verschiedene Körperbereiche betroffen sein. Zu den erzwungenen Körperhaltungen zählen vor allem das Knien und vergleichbare Haltungen wie Fersensitz, Hocken oder Kriechen sowie langandauerndes Kopf- oder Rumpfbeugen oder -drehen und Arbeiten mit den Händen über Schulterniveau oder über dem Kopf. In besonderen Fällen können auch Tätigkeiten im Sitzen oder Stehen erzwungene Körperhaltungen sein, wenn das Sitzen in einer vorgegebenen dauerhaft fixierten Körperhaltung erfolgt (zum Beispiel bestimmte Mikroskopier Arbeitsplätze, enge Kranführerkabinen) oder die Arbeit im dauerhaften Stehen ohne wirksame Bewegungsmöglichkeiten erfolgt.

2.3 Verfahren zur Beurteilung der Belastung im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung

(1) Für die Beurteilung von Belastungen des Muskel-Skelett-Systems durch die in Abschnitt 2.2 genannten Belastungsarten im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung stehen verschiedene Verfahren mit zunehmendem Komplexitätsgrad zur Verfügung [15], [17].

(2) Grobscreeningverfahren dienen der Orientierung darüber, welche Belastungsarten vorliegen und ob eine wesentlich erhöhte oder hohe körperliche Belastung innerhalb einer typischen Arbeitsschicht zu erwarten ist, bei der eine weitere spezielle Beurteilung ggf. notwendig ist. Sie unterscheiden sicher zwischen Tätigkeiten mit geringer Belastung (Risikobereich 1, siehe Anhang) und Tätigkeiten mit wesentlich erhöhter und hoher Belastung (Risikobereiche 3 und 4, siehe Anhang). Für weitergehende Differenzierungen zwischen den Risikobereichen 2, 3 und 4 sind diese Verfahren hingegen nicht geeignet.

(3) Spezielle Screening Verfahren ermöglichen eine Unterscheidung zwischen Tätigkeiten mit mäßig erhöhter und wesentlich erhöhter bis hoher Belastung (Risikobereiche 2 bzw. 3 bis 4, siehe Anhang) und sind damit geeignet, wesentlich erhöhte Belastungen im Sinne dieser AMR zu ermitteln. Jede dieser Methoden ermöglicht in der Regel nur die Beurteilung einer Belastungsart.

(4) Expertenscreeningverfahren, betriebliche Messungen und Labormessungen sind geeignet, vertiefende Fragestellungen zu beantworten, z. B. zur Beurteilung von Kombinationen mehrerer körperlicher Belastungsarten.