3 Bedeutung und Nutzung von Beurteilungsmaßstäben aus REACH zur Gefährdungsbeurteilung

3.1 Allgemeines zu DNEL

Die REACH-Verordnung sieht in Bezug auf die menschliche Gesundheit die Ableitung von "Derived No Effect Level" (DNEL) vor. Als DNEL wird die Expositionshöhe bezeichnet, unterhalb derer der Stoff zu keiner Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit führt. DNEL müssen standardgemäß durch den Registranten im Rahmen des Stoffsicherheitsberichts abgeleitet werden. In einigen Fällen werden DNEL aber auch über REACH-Beschränkungen vorgegeben.

DNEL werden separat für Beschäftigte am Arbeitsplatz und die Allgemeinbevölkerung festgelegt. Dabei wird jeweils ein Wert für den oralen, inhalativen und dermalen Aufnahmeweg abgeleitet sowie zusätzlich nach systemischen oder lokalen Wirkungen und nach Auswirkungen des Stoffs bei einer Kurz- oder Langzeitbelastung (akut bzw. chronisch) unterschieden. Daraus ergeben sich eine Vielzahl von unterschiedlichen DNEL. Für die Gefährdungsbeurteilung sind die inhalativen und dermalen Langzeit-DNEL zum Schutz der Beschäftigten relevant.

3.2 Informationen zur Beurteilung der inhalativen Exposition aus REACH

3.2.1 Nicht verbindliche DNEL aus REACH-Registrierungen

Die inhalativen DNEL aus REACH-Registrierungen5 sind für den Inverkehrbringer der Maßstab für die Ableitung geeigneter Risikomanagementmaßnahmen (RMM). Mit dem SDB werden diese Werte dem Arbeitgeber in Abschnitt 8 mitgeteilt. Diese DNEL müssen gemäß der ECHA-Leitlinie zu Informationsanforderungen und Stoffsicherheitsbeurteilungen Teil B (Kapitel R.8)6 vom Inverkehrbringer abgeleitet werden und sind daher im Sinne der GefStoffV als nicht verbindlich für den Arbeitgeber anzusehen. REACH sieht vor, dass die RMM die Einhaltung des vom Inverkehrbringer aufgestellten inhalativen DNEL gewährleisten. Da die Wirksamkeit technischer Schutzmaßnahmen jedoch auch von den Umgebungsbedingungen und dem technischen Zustand z. B. einer Absauganlage abhängt, entbindet dies nicht von der Kontrolle der Wirksamkeit der Maßnahmen, wie sie die GefStoffV fordert. Der DNEL kann, sofern keine verbindlichen Beurteilungsmaßstäbe zur Verfügung stehen, herangezogen werden, um anhand des Ergebnisses einer Expositionsermittlung die Wirksamkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen zu überprüfen. Dies bedeutet nicht automatisch, dass gemessen werden muss. In der TRGS 402 "Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition" sind geeignete Ermittlungsmethoden beschrieben.

Bei Gemischen müssen in Abschnitt 8 des SDB nicht für alle gefährlichen Inhaltsstoffe DNEL-Werte angegeben werden. Nach Anhang II der REACH-Verordnung müssen nur diejenigen DNEL aufgeführt werden, die in angehängten ES als Maßstab für abgeleitete Risikomanagementmaßnahmen verwendet wurden. Falls der Arbeitgeber den DNEL eines Inhaltsstoffs für seine Gefährdungsbeurteilung benötigt und es sich um einen registrierten Inhaltsstoff handelt, sollte er vom Hersteller oder Lieferanten des Gemisches den inhalativen DNEL erfragen (§ 6 Absatz 2 GefStoffV).


Verhältnis von DNEL aus Registrierungen zu AGW

Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) sind die für den Arbeitgeber in Deutschland rechtsverbindlichen Grenzwerte. Inhalative DNEL aus Registrierungen sind gemäß TRGS 402 „Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition“ eine Hilfestellung für die Beurteilung, ob die getroffenen Schutzmaßnahmen ausreichen, wenn kein AGW zur Verfügung steht (s. o.). Hier ist insbesondere der inhalative Langzeit-DNEL für den Arbeitgeber von Bedeutung.

Ist der AGW niedriger als der DNEL, hat der Arbeitgeber den AGW einzuhalten. Ist der DNEL niedriger als der AGW, ist der AGW vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) zu überprüfen7. Solche Stoffe sollten dem AGS8 gemeldet werden. Gibt es keinen AGW, aber einen DNEL, sollte der DNEL als Beurteilungsmaßstab dienen, der im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung und Wirksamkeitsüberprüfung berücksichtigt werden kann.

3.2.2 Verbindliche DNEL aus REACH-Beschränkungen

Von der EU-Kommission können im Rahmen von REACH-Beschränkungen verbindliche DNEL festgelegt werden. Diese werden meist als "Referenz-DNEL" oder "harmonisierte DNEL" bezeichnet und finden sich bei den Einträgen zu den jeweiligen Beschränkungen in Anhang XVII der REACH-Verordnung.

Enthält eine Beschränkung wie z. B. im Fall von 1-Methyl-2-pyrrolidon (NMP) einen solchen Referenz-DNEL, so ist dieser unter den in der Beschränkung genannten Bedingungen (z. B. Konzentrationsangaben) verbindlich und am Arbeitsplatz einzuhalten.

Bei Diskrepanzen zwischen Referenz-DNEL aus Beschränkungen und bestehenden AGW ergänzt der AGS gegebenenfalls Hinweise im jeweiligen Eintrag in der TRGS 900 "Arbeitsplatzgrenzwerte". Treffen die in der Beschränkung genannten Bedingungen zu, ist der Referenz-DNEL unabhängig von der Höhe des AGW einzuhalten.


Beispiel für eine Beschränkung mit verbindlichem DNEL: 1-Methyl-2-pyrrolidon (NMP)

Der in der TRGS 900 festgelegte AGW für NMP beträgt 82 mg/m3. Demgegenüber findet sich in Anhang XVII der REACH-Verordnung in Eintrag 71 eine Herstellungs- und Verwendungsbeschränkung (als Stoff oder in Gemischen in Konzentrationen von ≥ 0,3 %), wenn die Exposition über dem verbindlichen Referenz-DNEL von 14,4 mg/m3 bei Inhalation und 4,8 mg/kg/Tag (bei Aufnahme über die Haut) liegt. Für die Verwendung als Lösungsmittel oder Reaktant im Drahtbeschichtungsprozess gilt diese Beschränkung ab dem 09. Mai 2024. In der TRGS 900 wird durch eine Fußnote auf die NMP-Verwendungsbeschränkung Bezug genommen. Die Fußnote besagt, dass die Verwendung für NMP untersagt ist, wenn der in der Beschränkung genannte Luftgrenzwert nicht eingehalten wird. In der Konsequenz bedeutet dies z. B.:
Bei Verwendung in Gemischen mit Konzentrationen < 0,3 % ist der AGW einzuhalten;
Bei Verwendung in Gemischen mit Konzentrationen ≥ 0,3 % muss der DNEL aus der REACH-Beschränkung eingehalten werden.
Für die Verwendung als Lösungsmittel bzw. Reaktant im Drahtbeschichtungsprozess ist bis zum 08. Mai 2024 der AGW, danach der DNEL aus der REACH-Beschränkung einzuhalten.
Bei dermaler Exposition muss bei Verwendungen in Gemischen mit Konzentrationen ≥ 0,3 % der dermale DNEL aus der Beschränkung eingehalten werden. Siehe hierzu auch Abschnitt 3.4 dieser Empfehlung.
Bei dermaler Exposition bei Verwendungen in Gemischen mit Konzentrationen < 0,3 % gibt es keinen Grenzwert, der eingehalten werden muss. Der Stoff ist aber in der TRGS 900 mit der Haut-Notation hautresorptiv ("H") gekennzeichnet. Die Vorgaben der TRGS 401 "Gefährdung durch Hautkontakt" sind zu beachten.

3.3 DMEL aus REACH-Registrierungen

Für krebserzeugende und keimzellmutagene Stoffe ohne Wirkschwelle können auch bei sehr niedrigen Konzentrationen gesundheitsschädigende Wirkungen nicht ausgeschlossen werden. Daher kann weder ein DNEL noch ein AGW abgeleitet werden.

Im SDB kann für solche Stoffe ein als DMEL (Derived Minimal Effect Level) bezeichneter Wert angegeben sein. Der DMEL ist keine in der REACH-Verordnung definierte Größe, sondern ein im rechtlich nicht verbindlichen REACH-Leitfaden zu Informationsanforderungen9 eingeführter Maßstab ohne festgelegten Risikobezug. DMEL haben in Deutschland keine rechtliche Relevanz im Arbeitsschutz.

In Deutschland werden für krebserzeugende Gefahrstoffe ohne Wirkschwelle Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB) abgeleitet, sofern die Datenlage dies ermöglicht. Die auf dieser Basis berechneten verbindlichen Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen finden sich in der TRGS 910 "Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen". Wenn für krebserzeugende und keimzellmutagene Stoffe ohne Wirkschwelle keine verbindlichen Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen vorliegen, kann ein DMEL in Verbindung mit dem zugrunde gelegten Risiko und den daran geknüpften RMM zur Gefährdungsbeurteilung herangezogen werden.

3.4 Informationen zur Beurteilung der dermalen Exposition aus REACH

Die REACH-Verordnung (Anhang XVII) legt für einzelne Stoffe DNEL (Derived No-Effect Level) für die Exposition von Beschäftigten bei Aufnahme über die Haut fest z. B. für N-Methyl-2-pyrrolidon (NMP).

Derzeit stehen keine validierten Verfahren zum Nachweis der Einhaltung dermaler DNEL zur Verfügung. Über Biomonitoring kann die Aufnahme in den Körper summiert über alle Aufnahmewege nachvollzogen werden (oral und dermal und inhalativ). Die dermale Aufnahme kann durch Biomonitoring nicht isoliert überwacht werden. Sind in der TRGS 903 „Biologische Grenzwerte (BGW)“ festgelegt, so können diese im Rahmen von Biomonitoring nach Einwilligung des/der Beschäftigten überwacht werden.

Sind die Anforderungen der TRGS 401 "Gefährdung durch Hautkontakt Ermittlung – Beurteilung – Maßnahmen" eingehalten und ist dadurch die dermale Exposition z. B. durch das Tragen von Schutzhandschuhen wirksam ausgeschlossen, kann von einer Einhaltung der dermalen DNEL nach Anhang XVII REACH-Verordnung ausgegangen werden.

 

 


5 GESTIS-DNEL-Liste
6 ECHA-Leitlinien zu Informationsanforderungen und Stoffsicherheitsbeurteilung - Teil B
7 BAuA - REACH - Bewertungsstelle Arbeitsschutz - REACH und Arbeitsschutz - Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
8 Ausschuss für Gefahrstoffe – AGS, Geschäftsführung; Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).
9 ECHA-Leitlinien zu Informationsanforderungen und Stoffsicherheitsbeurteilung - Teil B